20. Januar – 19. Februar 2023
Ort: FIT freie internationale tankstelle, Schwedter Str. 262, 10119 Berlin
Ein pastellgrüner Kleinwagen, in der Form wie ihn meist ältere Damen fahren, steht an einer verlassenen Tankstelle. Die Motorhaube ist stark eingedellt; es handelt sich um einen Unfallwagen, jedoch ist kein*e Fahrer*in zu sehen. Es wird nicht klar, ob die Tankstelle der Tatort ist oder ob der Unfall ganz in der Nähe stattfand. Nähert man sich dem Auto, wird ein Flüstern hörbar – Musik klingt aus dem Auto. Die durch den Unfall und den Schaden des Autos erzeugte Stille wird durch das Gitarrenriff und den Liedtext unterbrochen:
She’s talking in whispers
Talking in whispers
She’s talking in Spanish
She’s talking in Spanish
When I was in the water
I was in the water
When I was on land
I was on land
When I was a bird
I was a bird
Die Auto-Installation von Luki von der Gracht an der FIT freie internationale tankstelle, einer verlassenen Tankstelle, die heute als öffentlicher Kulturort genutzt wird, zieht die Blicke der Passant*innen auf sich. Die gesamte Szenerie regt zu Fragen und Spekulationen an. Der Wagen in seiner Fragilität, mit seinen Rissen, Dellen und Verletzungen erzählt von einem zurückliegenden Ereignis und seine*m Fahrer*in. Kleine Details dienen als Anhaltspunkte und rufen Assoziationen hervor, sie lassen Vorlieben und Charakteristika der/des Besitzer*in erahnen. Was ist wirklich passiert? Ist sie/er noch am Leben? Kann das Lied, das im Loop aus dem Wagen tönt, Hinweise geben? Es wird vom Überleben gesungen, mit einer besonderen Dringlichkeit und dem Schwerpunkt im Jetzt präsent zu sein, es wird von Fluidität, Transformation und Freiheit gesungen.
Weitere Anhaltspunkte liefern die zahlreichen Aufkleber, die sich auf der Rückseite des Wagens verteilen. Darauf sind Aussagen zu lesen, die sich auf Spiritualität, Trans-Identität und Kreativität beziehen. Die Faszination der Künstlerin für die Aufkleber rührt daher, dass sie auf die Person hinweisen, die dieses Auto gefahren hat. Und gleichzeitig reflektieren die eigenen Interpretationen der Sticker in Bezug auf den/die Fahrer*in internalisierte Bilder und Stereotypen. Die Aufkleber verweisen auf unsere komplexen Beziehungen zum Auto als sozialpolitisches, popkulturelles Objekt. Das Auto wird also nicht nur als reines Transportmittel genutzt, sondern auch als ein Identifikationsmittel aufgeladen, an dem sich aktuelle Debatten manifestieren.
LUKI VON DER GRACHT (g. in Aachen) ist Autorin und Künstlerin und arbeitet an der Schnittstelle zwischen geschriebenem und gesprochenem Wort, Collage, Performance, Fotografie, Zeichnung, Malerei, Video und Installation. Ihr Studium an der Kunstakademie Düsseldorf schloss sie mit dem Master of Visual Arts ab. Von der Gracht konzentriert sich in großen Teilen ihrer Arbeiten auf das Spannungsfeld zwischen Gemeinschaft, Identität und Zweckhaftigkeit. Sie hat u.a. ausgestellt und performt in: Cité International des Arts, Paris (2022); Kunsthalle am Hamburger Platz, Berlin (2022); Neuer Aachener Kunstverein (2022); Kunsthalle Düsseldorf (2021); K21 Kunstsammlung NRW, Düsseldorf (2021); Antwerp Queer Arts Festival (2021); Mouches Volantes, Köln (2020); Forum Freies Theater, Düsseldorf (2020); Schinkel Pavillon, Berlin (2019); Institute of Contemporary Arts, London (2019). Sie hat zahlreiche Stipendien und Preise erhalten, zuletzt von der Art Explora Foundation an der Cité International des Arts, Paris (2022).