GUZZLE THAT GAS

19. Februar, 2023, ab 17 Uhr, on loop

Ort: Parkendes Auto vor Halle 3, Dragonerareal,
Obentrautstr. 19-21, 10963 Berlin.
Eingang über Auto Klas

Road Trips und Entführungen im Kofferraum. Ruf lieber einen Uber, ich habe keinen Bock auf die stinkende U-Bahn. The Fast and the Furious ist irgendwie ein sexy Film, oder? Need for Speed, vroom vroom, beep, beep.

In der kollektiven Vorstellung der westlichen Kultur hat das Auto einen seltsamen Platz eingenommen. Verbunden mit Fragen von Geschlecht und Klasse, sitzt es irgendwo zwischen dem unerfüllten Versprechen von Freiheit und Individualismus, dem Verlangen nach Mobilität und dem trotzigen Bewusstsein, dass wir uns immer noch nicht von den unzeitgemäßen Spritfressern lösen können – oder wollen.

Mit GUZZLE THAT GAS präsentiert EVBG eine Auswahl von Kurzfilm- und Videoarbeiten, in denen Autos in ihrer alltäglichen Exzessivität, aber auch in ihrer symbolischen Aufladung und kulturellen Spezifik zu Hauptdarstellern werden. Auf kleinen Bildschirmen auf dem Rücksitz eines geparkten Fahrzeugs betrachtet, rücken die Bewegungen der Autos verstärkt in den Fokus, ob sie nun einen komischen Unfall oder einen nervenaufreibenden Einparkvorgang vollführen, beschleunigen und driften oder bei Nacht über eine Autobahn rasen.

FEIKO BECKERS

ACCIDENT WITH RED CAR, 2010
HD-Video, 2’23”, Farbe, Ton.

Weitwinkelaufnahme: Grünzeug bewegt sich im Wind, wir scheinen uns auf einem leeren Betonplatz zu befinden, auf dessen Oberfläche sich Wasserpfützen gebildet haben. Eine archetypische Darstellung eines Cartoon-Autos ist auf der rechten Seite geparkt. Ein Motor heult auf, das Auto beschleunigt und kracht. Der Aufprall ist hörbar, Elemente der Realität durchbrechen die Fassade der Künstlichkeit, die die Pappfigur des roten Autos erzeugt. Der Fahrer steigt aus, blickt frontal in die Kamera und lässt das Wrack zurück. Die Szene ist so simpel wie absurd.

LENA MARIE EMRICH

INFINITY DRIFT, 2018
HD-Video, 3’31”, Farbe, Ton.

Ausgehend von einem selbst inszenierten Experiment, bei dem Lena Marie Emrich mit der lokalen Autotuning-Szene der brandenburgischen Uckermark kooperiert, generiert sie Bilder von Hochgeschwindigkeitsbewegungen, die sie in einer hypnotischen Entschleunigung präsentiert. Autotuning funktioniert hier als Bruch mit dem allzu romantischen Blick des Stadtmenschen auf die idyllische Uckermark. Das Fahrzeug ist auf Unendlichkeit getunt und driftet in der Leere der Landschaft, scheinbar ohne jemals zu starten oder anzuhalten, scheinbar völlig autonom. In dem glühenden Gummi der Reifen und den rosafarbenen Wolken finden die Betrachter*innen jedoch vielleicht eine andere Art von Romantik.

MAX GÖRAN

MAN I LOVE FISHING, 2021
Video, 04’40”, Farbe, Ton.

Ein roter Volvo 940 und ein blauer Volvo 945 Kombi fahren in Schleifen auf einem zugefrorenen See. Während die Sonne über dem schwedischen Hinterland untergeht, hinterlassen die Reifen der Autos Spuren und wirbeln weiße Glitzerwolken auf. Volvos haben im Allgemeinen den Ruf, sicher und zuverlässig zu sein, aber in Schweden geht ihre Bedeutung darüber hinaus: Sie gelten als klassenlos, als ein Auto für jedermann, als das ultimative kulturelle Symbol für schwedischen Pragmatismus und Bescheidenheit. In Man I Love Fishing führen die funktionalen Familienautos eine machohafte Drift-Performance für kein Publikum außer sich selbst auf; die exzessive und aggressive Qualität des Fahrens trägt auch einen Hauch von Langeweile in sich, die mit der schönen, aber auch unheimlichen Weite der Kulisse resoniert.

 

ALMUT LINDE

DIRTY MINIMAL #45.8.3
– NIGHT DRIVE STILL/STREETWALKER, 2007
Video, 02’16”, Farbe, Ton.

Aus dem Fenster eines fahrenden Autos gerichtet, fängt die Kamera Lichtblitze ein, die das Dunkel der Nacht erhellen und Unschärfen und Farbschlieren erzeugen. Was sich wie ein vertrautes, sogar nostalgisch aufgeladenes Bild anfühlt, ist Teil der Werkserie DIRTY MINIMAL #45.8.3 - NIGHT DRIVE STILL/STREETWALKER, die nächtliche Fahrten am Straßenrand an der tschechisch-deutschen Grenze aufzeichnet, einer brutalen Region für Menschenhandel und Kinderprostitution in Europa. Für diese Serie und andere Arbeiten wendet Almut Linde ihr Konzept der Radical Beauty an. Der Begriff radikal – abgeleitet von dem lateinischen Wort radix – verweist auf die Wurzel, den Ursprung einer Form. Der radikale Ansatz besteht darin, den Begriff der Schönheit wieder auf die Wurzeln der Form zurückzuführen. Er macht es möglich, Dinge, die wir nicht sehen können oder wollen, in den Raum des Beobachtbaren zu stellen. Obwohl sich Linde direkt und ohne Umwege mit der Wirklichkeit auseinandersetzt, verpackt sie diese oft in eine täuschend schöne Form, die sich erst auf den zweiten Blick enthüllt.

MARIKE SCHUURMAN

MOVING STILL, 2002
Mini dv, 9’21”, Farbe, Ton.

Heimlich filmt Schuurman in einer langen Einstellung die verbissenen Bemühungen eines Paares, sein Auto in einer engen Wohnstraße zu parken. Was eine schnell zu erledigende Aufgabe hätte sein können, wird zu einer mühsamen und langwierigen Mission und zu einer Geduldsprobe für den Mann auf der Straße und seine Frau, die Anweisungen gibt. Der Komfort und die Bequemlichkeit des Autofahrens für die Mittelschicht werden plötzlich zur Last. Mit ihrer scharfen Beobachtungsgabe zeigt uns Schuurman, wie reich die alltägliche Realität an einfachen Geschichten ist, die sich leicht zu metaphorischen Erzählungen ausweiten können.

EVBG (gegründet 2015 in Berlin), ein Projekt der Kuratorinnen Marie Sophie Beckmann und Julie Gaspard, widmet sich der neugierigen Erkundung des täglichen Lebens und den Ausdünstungen des Verstands: Feminismus, Repräsentation und Erwartung. Als Kuratorinnen-Kollektiv haben sie Ausstellungen und Screening-Programme organisiert, darunter für: re.act.feminism#3, Berlin (2022); Efremidis Gallery, Berlin (2019); uqbar, Berlin (2019); Project Space Festival Berlin (2019); Salon Gallery, Berlin (2019); PSM Gallery, Berlin (2018). 2019 wurde EVBG mit dem Preis für künstlerische Projekträume und -initiativen ausgezeichnet.

http://evbg.org