Von Fahrradlesbe zu Typ am Steuer

Evan Hugo Tepest

Seitdem ich trans bin, hat sich meine ganze Persönlichkeit verändert. Obwohl ich ein Buch mit dem Titel „Power Bottom“ geschrieben habe, lege ich zunehmend Top-Energie an den Tag. Ich habe festgestellt, dass es mir besser ohne Gluten geht – und dass ich mindestens einen Song von Taylor Swift mag. Und ich kann plötzlich Auto fahren.

Nicht nur das: Ich mag Autofahren. Ich mag es, mit einem leichten Schnipser meines Handgelenks vom zweiten in den vierten Gang zu schalten. Ich mag es, bei McDonald’s zu halten und Ausschau nach lustigen Kennzeichen zu halten: „B-IG“, „B-OY“, „B-ET“. Um ehrlich zu sein, ist Autofahren eine der wenigen Aktivitäten, die mir zurzeit überhaupt Freude bereiten. Warum ist das erst der Fall, seitdem ich ein Mann bin? Das hat sehr viel mit der Verkörperung von Geschlecht zu tun – und wie kompliziert genau das für trans Personen ist.

Klar, Autofahren ist von sexistischen Erzählungen dominiert. Wahrscheinlich hatte meine Jugendlektüre von „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“ oder das Meme von Queers/Bottoms, die nicht Auto fahren können, zu meinen Ängsten beigetragen. Aber da ist noch mehr: Seit meiner Kindheit begleitet mich das Gefühl, dass sich vieles in meinem Alltag irgendwie off anfühlt. Als wäre mein Leben ein Café, das zu laut ist und in dem problematische Bilder von nackten Frauenkörpern hängen, in das ich aber dennoch ständig gehe, weil ich das Wifi-Passwort schon kenne. Genauso lange bin ich davon überzeugt, dass am Leben zu sein sich nun mal so anfühlt: sich mit der eigenen Geschlechtsidentität permanent unwohl fühlen und dauernd Durchfall haben – geht das nicht allen so?

„Mit der Dissoziation ist es tricky“, sagt mein Körpertherapeut. „Bei einer Panikattacke merken wir, dass etwas Ungewöhnliches passiert, und können das benennen. Wenn wir jedoch als trans und queere Personen mit Dissoziation aufwachsen, muss uns erst mal etwas zeigen, wie ein anderes Leben sich anfühlen könnte.“ Sitze ich hinterm Steuer, trifft eine Erzählung darüber, was ich bin und sein kann, auf etwas, das erst neuerdings vorstellbar ist.

Ich sitze im Auto und wir stecken im Berliner Stadtverkehr fest. Stop and go.  „Das Einzige, was du tun kannst, ist, mit dem fucked-up Flow zu gehen“, sagt die Person neben mir. Das Einzige, was wir tun können, ist weiterzumachen. Eine Transition „bedeutet keinen Übergang vom wahren zum falschen Sein“, sagt die Autorin McKenzie Wark in einem Gespräch mit ihrer Kollegin Lauren J. Joseph. „Es ist eine bessere Fiktion.“ Das Resultat ist kein perfekter Durchbruch oder das ideale Selbst. Keine Pille, kein Hormongel und keine Spritze bringt den magischen Einklang mit uns und der Welt.

Auch Autos sind nicht die Lösung. Verbrennungsmotoren sind Gift für die Umwelt und das Konzept „Petromasculinity“ beschreibt die reale Gefahr, die von einem hypermaskulinen Befürworten von fossilen Energieträgern und dem Recht auf Autos für alle ausgeht.

Und doch: Eine große Veränderung zu erleben, kann uns zu einer neuen Geschichte verhelfen. Einer, in der wir nicht allein sind, sondern darauf angewiesen, dass jemand, der uns liebt, uns geduldig erklärt, wann wir vor einer orangen Ampel abbremsen und wann aufs Gas drücken sollten. Und wenn wir Glück haben, ist diese Geschichte eine lebbare Variante.

Irgendwo in Berlin werden die Schatten länger und die Straßen leerer. Ich kurbel das Fenster runter. Im Radio läuft „All Too Well“. Vor mir tut sich eine Lücke auf. Ich rolle im zweiten Gang auf die rote Ampel zu und lasse die Kupplung langsam kommen, und sie springt im perfekten Moment auf Grün.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 05/24.

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