In Ruins of Refueling setzt sich Julia Hainz mit der Tankstelle als Ort zwischen Bewegung und Stillstand auseinander. Ihre Performance verbindet persönliche Erinnerungen mit gesellschaftlichen und industriellen Strukturen. Die Tankstelle wird dabei zum Schauplatz körperlicher und symbolischer Prozesse: Sie steht für Energiezufuhr und Erschöpfung, für Beschleunigung und Verfall.
Im Titel deiner Performance verweist du auf eine Tankstelle. Welche Bedeutung hat dieser Ort für dich – sowohl persönlich als auch künstlerisch?
Tankstellen sind Durchgangsräume. Wir suchen sie auf, wenn uns und unseren Maschinen die Energie ausgeht. Ich verbinde Tankstellen aber vor allem auch mit meinem Vater, der seit fast 40 Jahren in einer Erdölraffinerie arbeitet. Für ihn und seine Kolleg*innen ist die Tankstelle in der Nähe des Werksgeländes ein Treffpunkt nach der Nachtschicht. Wie viele der Kinder von Raffineriemitarbeitenden habe auch ich in den Ferien im Werk gejobbt. Es ist ein magischer Ort, ein undurchschaubares Gewirr aus dampfenden Rohren und glitzernden Türmen, der mich, seit ich klein war, in seinen Bann gezogen hat. Von Weitem sieht man den Rauch aufsteigen und die Fackel brennen; das ist der höchste Schornstein, aus dem durchgängig eine Flamme lodert, weil hier überschüssiges Material sofort wieder verbrannt wird. Die immerzu brennende Flamme ist damit ein besonderes Symbol für mich. Im Werk wird mehr Energie erzeugt, als weiterverarbeitet werden kann. Das ewige Licht steht somit auch für etwas sehr Gewaltvolles, für unwiederbringliche Ressourcen, die ins Leere laufen. Das ist eine besondere Ambivalenz, die mich auch als Performer*in interessiert. In meinen Arbeiten muss ich mit meiner Energie haushalten. Auf der einen Seite möchte ich gut für mich sorgen, auf der anderen Seite reizen mich Momente der Verausgabung sehr, weil darin etwas sehr befreiendes liegen kann. Gleichzeitig wird mir darin aber auch bewusst, wie begrenzt meine (körperlichen) Möglichkeiten sind.
Durch somatische Übungen erforschst du den Körper als Speicher und Verbraucher von Energie. Atemrhythmen verschmelzen mit harten Bässen, mechanische Bewegungen erinnern mich an Motoren im Leerlauf oder Maschinen, die Öl fördern.
Du verknüpfst körperliche Bewegungen mit industriellen Prozessen. Welche Rolle spielt der Atem in deiner Arbeit?
Für die Gewinnung von Energie spielt Sauerstoff im Körper eine entscheidende Rolle. Wir müssen zum Beispiel atmen um unsere Nahrung verbrennen zu können. Zu atmen ist allerdings nicht nur ein biologischer Prozess, sondern auch eine Kulturtechnik. Mit verschiedenen Atemübungen können wir unsere Wahrnehmung steuern. Wir können unsere Atmung bewusst verlangsamen und uns entspannen, aber auch beschleunigen und uns in Extase atmen, was ich als Performer*in besonders spannend finde. Ich muss meinen Körper gut kennen, wenn ich in einer Aufführung etwas Bestimmtes zeigen möchte. 2019 habe ich zum Beispiel eine Performance gemacht, in der ich über mehrere Stunden bewusst geatmet habe. Ich habe zuvor ausgerechnet, wie viele Kubikmeter an Luft ich in drei Stunden durch meine Lungen schleuse und einen großen durchsichtigen Plastiksack besorgt, der genau diese Menge aufnehmen konnte, um meine Atemluft in dieser Zeit darin zu sammeln. Am Ende war der Sack so gefüllt, dass mein Atemgebilde bestimmt 5 mal so groß war wie ich. Ich wollte zeigen, wie viel unsere Körper leisten, ohne dass wir es wahrnehmen und wie viel Raum ich eigentlich dabei einnehme. Zu atmen ist so unsichtbar und dadurch in besonderer Weise von Machtverhältnissen durchzogen. Sauerstoff ist ein begrenztes Gut, dessen Zugang wie alles im Spätkapitalismus reguliert ist.
Die Performance entfaltet sich in drei Akten – eine körperliche Reflexion über Arbeit, Umwelt und Vergänglichkeit. Kannst du die Teile kurz beschreiben?
Ich habe Ruins of Refueling bereits 2023 im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt aufgeführt. Die Performance fand in einer Installation des Künstlers Daniel Theiler statt, die einer Tankstelle nachempfunden war. Ich wollte, dass die Tankstelle in einer nahen Zukunft, wenn alle fossilen Brennstoffe aufgebraucht sein würden, zu einem Versammlungsort umfunktioniert wird. In drei Akten habe ich diesen Ort mit somatischen Übungen heraufbeschworen. Eine von mir eingesprochene, autofiktionale Geschichte erzählt im ersten Teil von der Arbeit meines Vaters in der Erdölraffinerie. Ich möchte dass alle Anwesenden mit mir an diesem Ort, aber auch im eigenen Körper ankommen. Angelehnt an eine Körperreise führt der zweite Akt in meiner Erzählung von einem angelegten Teich in der Nähe des Werksgeländes hinab zur Erdkruste und den versteinerten biologischen Organismen aus denen unser Erdöl gepresst wurde. Durch eine Atemübung verausgabe ich mich immer weiter, um dem Druck standzuhalten. Im dritten Teil kommen wir zurück ins hier und jetzt, an die Tankstelle, an der mein Vater mit seinen Kolleg*innen nach der Nachtschicht zusammen kam und den Ort als zukünftigen Versammlungsort in Erscheinung treten lässt.
Ich sehe meine Performance im Kontext von Driving, Dreaming, Drifting 2025 als eine weitere Erscheinungsform in einer Serie an Orten, die neu besetzt werden. Der Ort ist diesmal eine Autowerkstatt mit Parkplatz , in dem die Aufführung stattfinden wird. Ausgehend von einer autofiktonalen Erzählung über eine Party, die ich als Jugendliche auf dem Parkplatz des Raffinieriegeländes gefeiert habe, werden wir die Parkfläche als Zwischenort durch unseren körperlichen Einsatz einnehmen.
Du setzt verschiedene Materialien ein, darunter Kühlwasserkannen und eine zähe Flüssigkeit auf Autofußmatten. Kannst du etwas zu den Objekten sagen? Welche Bedeutung haben sie für dich?
Objekte wie Kühlwasserkannen oder Auto-Fußmatten sind Erdölprodukte, die uns noch sehr lange begleiten werden, auch wenn wir schon längst keine Verbrennermotoren mehr nutzen. Sie sind durch ihre dunkle Geschichte mit Bedeutung aufgeladen, als Überbleibsel unserer an ungebremsten Fortschritt glaubenden Gesellschaft. Ich versuche in der Interaktion mit meinem Körper neue und andere Bedeutungen zu improvisieren. So wird zum Beispiel die Kühlwasserkanne, für mich zu einem Trainingsgerät, an dem neue Gesten und Körperhaltungen erprobt werden können.
Die Performance beschäftigt sich mit Energie – sowohl als physische Notwendigkeit als auch als Symbol für Arbeit und Erschöpfung. Welche Botschaft steckt für dich dahinter?
Energie ist in diesem Kontext auch sehr mit der Erschöpfung meines Vaters nach fast 40 Jahren Schichtarbeit verbunden. So ist es für mich ebenso eine Frage meiner Klassenzugehörigkeit, vor der ich mich als Performance-Künstler*in immer wieder (vor mir selbst) rechtfertigen muss. Mein Vater hat mich immer unterstützt, auch wenn er oft nicht ganz nachvollziehen konnte, was ich tue. Das Thema Energiewende war seit meiner Jugend immer auch mit der Frage verbunden, ob die fossilen Energieträger noch reichen würden, bis mein Vater in Rente geht. Auf der anderen Seite bin ich stets mit der Gefahr konfrontiert, die von dieser Energieproduktion ausgeht. Erst vor wenigen Monaten gab es in der Raffinerie, in der mein Vater arbeitet, wieder eine Explosion.
Inwiefern spielt das Konzept der Petromaskulinität – also die Verbindung zwischen fossilen Brennstoffen, Männlichkeit und industriellen Strukturen – in deiner Arbeit eine Rolle?
Cara New Daggetts Essay Petro-masculinity (2018) hat mich sehr beeinflusst, weil darin viele Aspekte, die ich selbst erlebt habe, in eindrucksvoller Weise auf einer strukturellen Ebene dargestellt werden. Daggett schreibt darin beispielsweise von der Härte eines Körpers, den diese Form der Energieproduktion für sich beansprucht, um die flüssigen, gasförmigen Stoffe nutzbar zu machen. Energie muss in produktive Bahnen gelenkt werden, denn das Fließende steht für etwas Unkontrollierbares. Zu viel Strömen, zu viel Begehren muss eingedämmt, bzw. kontrolliert abgebrannt werden. Das ist ein wichtiges Motiv für Ruins of Refueling. In der Atemübung, die das zentrale Moment in der Performance ist, versuche ich etwas Unkontrollierbares zu provozieren. Meine Verausgabung ist hier nicht produktiv, sondern losgelöst von einem konkreten Bild, das ich darstellen möchte.
Julia Hainz lebt und arbeitet als Performerin und freischaffende Künstlerin in Frankfurt am Main. In ihren Performances und Installallationen konzentriert sie sich auf die Entwicklung von Darstellungsformen, durch die körperliches Wissen und verinnerlichte Normen greifbar und formbar werden. Aktuell forscht sie als Doktorandin an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach zu queer feministchen Genealogien in der Performance Kunst. Seit 2022 ist sie künstlerische Mitarbeiterin an der Kunsthochschule in Kassel. Ihre Arbeiten waren bereits bei Hangar in Barcelona, im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt, im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart, im Kunstverein Schweinfurt, oder auf dem Young Urban Performance Festival in Osnabrück zu sehen.